Einführungsrede zur Vernissage

Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur zweiten Ausstellung der galerie 61 an diesem Abend: coats, eine Installation der in Berlin lebenden Bildhauerin Anne Katrin Stork.

Anne Katrin Stork wird vielen von Ihnen durch Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen hier in der Region bekannt sein. Sie hat hier in Bielefeld an der Fachhochschule für Design Bildhauerei studiert, ist dann nach ihrem Abschluß 1998 nach Berlin gegangen. 1999 war sie auf einer halbjährigen Ausstellungstournee In Japan und von 2002-2004 hat sie in Mexiko gelebt, wo sie als Dozentin für Skulptur an der Universidad de las Americas in Puebla unterrichtet hat, seitdem lebt sie wieder in Berlin.

Es ist eine befremdlich wirkende Versuchsanordnung, die sie hier sehen können. Glaskästen in einem Glaskasten: In einem Gewächshaus schweben fremdartig wirkende Körper in Wasserbecken, an deren Oberfläche sich Sauerstoffblasen anlagern, die sie wie eine Haut umgeben. Es sind Wachskörper deren Form – mehrfach im Glas der Aquarien gespiegelt - zwischen biomorphem und technoidem changiert. Dies Objekte, die mal an Organe, mal an Torsi erinnern, wirken mitunter durch Ausschnitte und Öffnungen so fragil, das man befürchtet, sie müßten außerhalb des sie wie eine Nährlösung umgebenden Wassers ihre Form verlieren und kollabierend in sich zusammenfallen. Diese Körper sind nicht aus dem Nichts entstanden, sie haben sich entwickelt: Bei Ihrer Diplomarbeit vor neun Jahren waren es Schwimmerinnen – auch hier ein Bezug zum Wasser – die durch ihre dünnen gebogenen Extremitäten auffielen, die kaum in der Lage zu sein schienen, den massigen Rumpf tragen zu können. Dieser Gegensatz zwischen schwerem Torso und fragilen Gliedmaßen sollte sich als formales Thema in allen ihren Werkgruppen wiederholen. Drei Jahre später entstanden Figuren, die bis auf Oberkörper, Kopf und Arme in Kokons ähnelnden Hüllen eingeschlossen waren; auch hier wieder die eigenartig dünnen Arme. Ab 2002 In Mexiko waren es an Kleinkinder erinnernde Figuren mit kurzem kompakten Körpern und weit auseinander stehenden, nur noch rudimentären, winzigen, gebogenen Armen und Beinen. Aber die Deutung dieser Plastiken ist ambivalent, denn möglicherweise war es auch das in Mexiko gewöhnliche Bild der an den Straßenrändern allgegenwärtigen, verwesenden Hundekadaver, bei denen die Extremitäten stocksteif vom grotesk aufgeblähten Körper abstehen, das hier mit in eine Plastik verarbeitet wurde. Dieser massige Körper – oder ist es doch eher der Kokon, die Hülle – hat sich schließlich vollständig von seinen Gliedmaßen getrennt. Gleichzeitig hat sich auch seine Form verändert, sie wirkt technischer, weil sie offensichtlich anders gebaut ist: Die Bildhauerin arbeitet seit sieben Jahren überwiegend mit Wachs, doch während sie anfangs die aus Wachsplatten geformten Körper durch das Auftragen weiteren Materials rund modellierte, so zeigen ihre neueren Plastiken wie sie entstehen: indem Platten gebogen, zugeschnitten und verschweißt werden. Ein Arbeitsprozeß der eher an Metallverarbeitung als an das plastische Material Wachs denken läßt.

Zugleich hat sich auch die Form der Präsentation geändert: Wachs ist in der Bildhauerei eigentlich ein Hilfsmaterial, es wird verwendet um etwas herzustellen das in ein anderes Material – die Bronze – transformiert werden soll; die Gegenstände die aus Wachs geformt werden sind üblicherweise nicht von Dauer und es ist nicht vorgesehen daß sie die künstlerischen Werkstätten verlassen um in der Öffentlichkeit gezeigt zu werden. In den Gießereien werden die fragilen und wärmeempfindlichen Wachsmodelle in großen Wasserbecken aufbewahrt. Anne Katrin Stork hat hier ein dem Bildhauer eigentlich vertrautes und deshalb nicht mehr wahrgenommenes Bild umgesetzt und dabei inhaltlich mit neuer Bedeutung aufgeladen: so ist aus einem gewohnten Bild ein ungewohntes Bild geworden: Die fremdartige Versuchs-anordnung, von der ich zu Anfang gesprochen habe.

Diese Ausstellung wird nach Berlin und Bielefeld noch weiter wandern. Das Gewächshaus wird voraussichtlich im Juni in der new general catalogue gallery in New York gezeigt werden. Anne Katrin Stork wird dort zusammen mit Nicole Schuck ausstellen. Nicole Schuck hat Anfang diesen Jahres den Böckstiegel-Preis erhalten, für ihre Werkgruppe „Eistiere und Heizsysteme“, die die galerie 61 2005 (in Teilen) ausgestellt hat.

Zum Schluß möchten wir uns bedanken. Zuerst beim Kunstverein, dessen Geschäftsführerin Dr. Stefanie Heraeus uns diesen Ort für die Installation zur Verfügung gestellt hat, dann beim Marktkauf, von dem wir für diese Ausstellung das Gewächshaus als Leihgabe bekommen haben.

(Christian Stiesch, galerie 61)